Wild, laut, bunt!

Epoche 5

Die 70er und 80er Jahre aus Sicht eines damals aktiven Mitglieds in der JDAV

Herbert Gruhl im Oktober 1977 beim Bundesjugendleitertag in München erlebt, ein Highlight! Organisiert von der mutigen Bundesjugendleitung unter Lotte Pichler zusammen mit Ludwig Bertle. Der alte CSU-ler Gruhl bekehrt sich zu grünem Gedankengut, die Grünen wiederum gab‘s noch gar nicht. Wohl aber den Bericht des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“, aber der galt auch schon damals als linke Spinnerei. Und viele Demos gab‘s damals auch, gegen Krieg in Zeiten der Aufrüstung, gegen rechte Spinner und gegen Atomkraft.

Von München aus mit einem ganzen Bus NRW-Jugendleiter*innen nach Burgberg ins Allgäu gefahren; dort erstmals in der Jugendbildungsstätte „Haus Sonnenhalde“ genächtigt, gerade frisch eingeweiht und notdürftig möbliert.

Schild der Jugendbildungsstätte Foto: Klaus Umbach

Alpenverein und Jugendbildung – eine ungewöhnliche Mischung, was hat sie zu bedeuten? Die „Jubi“ in Burgberg sollte Experimentierfeld für die Alpenvereinsjugend sein und ihre Weiterentwicklung voranbringen… aber wohin? So dachten auch die Altvorderen, die das Ganze misstrauisch beäugten. In Zeiten des Kalten Krieges und kurze Zeit nach dem Besuch einer Delegation der JDAV bei den (kommunistischen) Weltjugendspielen musste man da (besonders in Bayern) von Seiten der Vereinsoberen, die ja alle „Münchner“ waren, eher gegensteuern.

Deshalb kam es auch bei einer Hauptausschusssitzung in der Jubi zum Eklat: Das Schild „Jugendbildungsstätte Burgberg“ wurde aus der Wand gerissen und durch „Jugendausbildungsstätte“ ersetzt. Bildung war verpönt, weil links besetzt. Ausbildung war gut, weil man diese alpinistisch umdeuten konnte.

Die JDAV aber wollte Ende der 70er Jahre ein Schulungsteam, das neben Teamer*innen mit alpinistischer Qualifikation auch solche mit pädagogischer und gesellschaftswissenschaftlicher Qualifikation aufnahm. Dies führte anfangs zu einem Nebeneinander von Menschen unterschiedlicher Professionen – Soziologe saß neben Bergführerin. Schon bald wurde jedoch klar: So funktioniert das nicht. Sogenannte „Doppelqualifikationen“ waren erforderlich, wenn man glaubwürdig auf einen gesellschafts- und naturverträglichen Alpinismus hinarbeiten wollte. Fachlich-konzeptionell aus heutiger Sicht selbstverständlich, damals aber eine Revolution für den bis heute bergführergläubigen Verein.

Konfrontationen bei Demos Foto: Klaus Umbach

Junge Menschen saßen vor Atomwaffendepots und ließen sich wegtragen, die Anti-Atom-Bewegung sorgte überall für Großdemos und gewalttätige Auseinandersetzungen vor den Kraftwerken. Und in vielen Groß- und Unistädten wurde mit Straßensperren und -kontrollen die extremistische RAF gejagt, oftmals kein Spaß, dort als junger Mensch mit (etwas) längeren Haaren und umgehängtem Parka reinzugeraten.

Bild vom Bundesjugendleitertag im Dezember 1979 Foto: Klaus Umbach

Und in Burgberg probten manche Alt-68er den antiautoritären Aufstand z.B. gegen die durchaus gewogene Hausleitung. Nicht selten beschwerten sich Anwohner*innen über zu laute Musik und Parties auf der Terrasse: „das hätte man vom Alpenverein aber nie erwartet…“.

 

Dort aber, in der Münchener Zentrale, standen die Telefone kaum still. Die ehemals „brave“ Vereinsjugend muckte Ende der Siebziger auf, stellte Forderungen, wurde „politisch“. Ein Kampfbegriff mit Bedeutung: Sie wurde demokratisch-kritisch, hinterfragte so manches im Verein und darüber hinaus, was in der Welt so passierte. Wollte ökologischer, demokratischer, historisch aufgeklärter und einfach freier vom Überkommenen sein. Gleichzeitig aber trat sie für ein Bergsteigen ein, das mehr war als Sport und dies auch bleiben sollte.

Deshalb immer dann helles Entsetzen von einzelnen Vereinsführern (ja, sie waren alle männlich!), wenn mal wieder eine Aktion lief und etwas „passierte“. Und es passierte viel: z.B. in NRW die Aktion „auf einem Auge blind“, bei der den Delegierten beim Sektionentag in Rheydt von Vertreter*innen der JDAV-Landesjugendleitung gelbe Blindenbinden mit drei schwarzen Punkten drauf verteilt und teils umgebunden wurden, weil sie sich Großprojekten, wie neuen Skigebieten oder uneingeschränkter Wasserkraftnutzung im Alpenraum gegenüber, sagen wir mal, eher aufgeschlossen verhielten. Oder die Demos am Bauzaun der Startbahn West am Frankfurter Flughafen, durchaus nicht immer friedlich. Aber allein schon eine Resolution der JDAV 1979 zur kritischen Auseinandersetzung mit solchen naturfressenden Großprojekten sorgte für Aufruhr – „mindestens im Alpenraum müsse man doch bleiben“, so stünde es doch in der Satzung.

Ebenso bei den heftig geführten Debatten über die Werbung für Heli-Skiing im Katalog der Berg-und Skischule, des heutigen Summit-Club. Und man war sich 1986 wirklich nicht zu blöde, durch das Angebot an die Bundesjugendleitung, eine Woche „Ski-Plus“ doch „…auch mal so richtig genießen zu können…“, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Dr. Heinz Röhle, Referent für Umwelt- und Naturschutz des DAV, unterstützt die Bundesjugendleitung in ihrem Eintreten für mehr Umweltschutz und gegen Kommerzialisierung und Erschließungswahn Foto: Klaus Umbach

Haltung galt es aber auch da zu beweisen, als der JDAV verboten werden sollte, sich mit Atomkraft kritisch auseinanderzusetzen: In der Jubi in Burgberg war 1985 dazu eine bundesweite Tagung geplant mit kritischen Köpfen aus der Szene. Am Ende kam ein Kompromiss zwischen DAV und JDAV heraus: die Tagung „durfte“ stattfinden, an der Diskussion mussten aber Vertretungen der „Kernkraftindustrie“ teilnehmen – allesamt höhere Tiere bei der KWU in Erlangen und teils auch Sektionsangehörige dort. Die Tagung war trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – ein Erfolg, weil es gelang, Argumente auszutauschen und zu streiten, nicht ohne dabei Wissen und Kenntnisse zu vermitteln.

Vertrauensbildung war schwierig in diesen Zeiten, in denen man sich kritisch, ja manchmal auch feindselig beäugte. Parteipolitische Grabenkämpfe standen ganz oben auf der Tagesordnung und dominierten so manche Gremiensitzung. Es war quasi Pflicht für die bayrischen Vorstandsmitglieder des DAV, das „Erbe der CSU“ zu verteidigen und sich daran zu beteiligen, kritische Stimmen im Zaum zu halten bzw. ihnen keine Bühne zu gewähren. Ob es um die Abgasproblematik im Straßenverkehr ging - auch Mitte der 80er Jahre durchaus schon Thema! - oder um die Neuerschließung von Gletscherskigebieten, die damals wie wild ausgebaut wurden: stets musste man nach Sitzungen des Jugendausschusses zum Rapport in der Führungsetage auf der Praterinsel antreten. Da wurden einem dann die Verfehlungen vor Augen geführt, gedroht und sich eine andere Jugend gewünscht.

Es wurde sogar ein Zusammenhang zwischen dieser Art „politischer Jugendarbeit“ und den stagnierenden Mitgliederzahlen bei jungen Menschen hergestellt. Eigentlich wünschte sich die Vereinsführung eine „andere“ Jugend, eine, die so war, wie man sie sich vorstellte oder wie man selbst mal gewesen war. Am besten wäre es gewesen, man hätte eine kletternde Jugend gehabt - und sonst nichts. Aber, hörte man genauer hin, beim Würschtelessen auf der Praterinsel in den Sitzungspausen des Verwaltungsausschusses, dann wurde einem schnell klar, dass auch diese Altvorderen so ihre revolutionären Ideen gelebt und sich im Gebirge, auf Hütten und im Verein durchaus widerständlerisch gezeigt und betätigt hatten. Sie war halt nur verblasst, die Erinnerung, mit der Zeit auch ideologisch überformt, teils auch im konservativen Muff der Nachkriegsjahre und im Widerstand gegen alles 68er-Gestrebe starrig geworden. War deshalb der Wunsch, sich dem Sport hinzugeben, aus dem AV einen Sportverein zu machen, auch um Zuschüsse zu generieren, so dominant in diesen achtziger Jahren? Und die Jugend verweigerte sich, fand es nicht toll, ein Teil der Sportjugend zu werden und ihre Identität als umfassender Jugendverband aufzugeben. 

Also mussten sie her, die neuen „jungen“ Mitglieder. Doch das war 1987 gar nicht so einfach, für neue Ideen auch Mitstreiter*innen zu gewinnen. Denn die neue Idee hieß „Familienarbeit“ und da hatte jeder so seine eigenen Vorstellungen. Der ÖAV hatte 1984 beim Brixner Berg-Symposion überzeugend vorgetragen, wie es gehen und was das Ziel sein könnte. Der damalige DAV-Vorsitzende Fritz März verband damit jedoch lediglich Kinderbetreuung, während die Eltern gleichzeitig ihrem Bergsport nachgehen könnten. Die Bundesjugendleitung hatte völlig andere Ideen und diese waren bei etlichen Familienfreizeiten in der Ideenschmiede Burgberg mit Hans Hillmeier und Horst Schuppe im Leitungsteam bereits erprobt: Familien, also tatsächlich Eltern mit ihren Kindern gemeinsam, gehen ins Gebirge und nehmen auf die unterschiedliche Beinlängen ebenso Rücksicht wie auf verschiedene Ideen und Ambitionen. Und dieser Ansatz kam 1988 aus der Jugendarbeit, war motiviert durch viele junge Menschen, die sich als Jugendleiter*innen engagiert hatten und dann irgendwie in der Versenkung verschwanden, wenn die Familienphase begann. Das sollte nicht länger so bleiben. Also kein Abschluss, sondern ein Anschluss musste her. Bald entstanden in Sektionen die ersten Familiengruppen nach diesem Muster und es wurden auch hierfür Schulungen gebraucht. 

Aber das ist eine andere, eine neue Geschichte...

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  • Autor "Epoche 5 - Wild, laut, bunt": Klaus Umbach