Ein harter und langer Weg zur ersten Jugendbildungsstätte
Erstmals äußert 1973 der damals amtierende Bundesjugendleiter Helmut Friedl die Absicht, eine eigene Jugendbildungsstätte für die JDAV zu schaffen. Nach mehreren Rückschlägen gelingt es seiner Nachfolgerin Lotte Pichler durch unermüdliche Überzeugungsarbeit und Schaffung einer „Ordnung einer Jugendbildungsstätte“ in der Hauptversammlung 1975 mit 1516 „Ja“-Stimmen bei nur 278 „Nein“-Stimmen und 62 Enthaltungen die Zustimmung für das Projekt zu bekommen, und letztendlich 1977 das Haus Sonnenhalde in Burgberg im Allgäu anmieten zu können.
Sonnenhalde, ca. 1979 (Dame im Mantel: Lotte Pichler, damalige Bundesjugendleiterin), Foto: Klaus Umbach
Das Objekt liegt – wie der Name schon sagt – an einem sonnigen Hang etwas oberhalb des Ortes Burgberg. Einst Bauernhaus, dann Wirtschaft mit Schießstatt im ehemaligen Stall, und später Pension wird es an die JDAV verpachtet. Die Kaserne der Bundeswehr in Sonthofen leiht der Jubi einige Stahlrahmenbetten, um überhaupt starten zu können.
Interessant ist dabei folgende begriffliche Kleinigkeit am Rande: Während die JDAV stolz von ihrer Jugendbildungsstätte spricht und diese auch ab 1978 offiziell nach den Richtlinien der bayerischen Staatsregierung als solche anerkannt und gefördert wird, ist sie für den DAV in den ersten zehn Jahren die Jugendausbildungsstätte (JAS-Burgberg), anfangs vielfach auch JAZ (Jugendausbildungszentrum) genannt. Im Klartext: Ausbildung ja – (politische) Bildung nein! Damalige Zitate: “Die sollen bergsteigen - nicht politisieren!“… und, noch besser: „Eine rot-grüne Keimzelle brauchen wir nicht!“.
Überhaupt steht das ganze Projekt während der ersten Jahre auf wackligen Beinen. Eine Hütte im Gebirge liegt zu der Zeit in der Vorstellungskraft der Entscheidungsträger*innen, nicht aber so ein Haus. Anscheinend wirken die 1968er Jahre noch nach!? Ludwig Bertle (Bundesjugendleiter nach Lotte Pichler, die inzwischen „Die rote Lotte“ genannt wird, was aber eher mit Achtung verbunden ist) hat da so manche Kämpfe in Sitzungen auszufechten. Dank seiner Hartnäckigkeit und seines Geschicks gewinnt er mehr und mehr. Im Zweitberuf ist er Bergführer, also eine besondere Art Bergsteiger, und vielleicht auch deshalb „unverdächtiger“ für die Gremienkollegen im DAV!?
Die interessante Vorgeschichte der heutigen Jugendbildungsstätte der JDAV in Bad Hindelang. Der damalige „Alpenhof“ mit unverkennbarer Handschrift des berühmten Architekten Alois Johann Welzenbacher (1885 – 1955)
1932 lässt der Hamburger Tabakgroßhändler Walter Wegener oberhalb von Bad Oberdorf ein Landhaus errichten, das die Hausnummer 138 bekommt. Die Kinder Wegeners gehen in Vorderhindelang zur Schule – in die Oberrealschule Ehlert, die Welzenbacher errichtet hat, woraus sich eine Freundschaft zwischen den Familien entwickelt. Inspiriert von den Schwarzwaldhäusern entsteht zwischen 1934 und 1937 das „Terrassenhotel am Oberjoch“, in dem das ursprüngliche Haus Wegeners aufgeht.
30 Zimmer nach Süden für 50 Gäste entstehen. Welzenbachers Baustil ist der Geländeform angepasst, halbrunde Elemente ziehen sich durch bis zum sog. Krüppelwalmdach (Schwarzwald, s.o.). In einem Buch über das Wirken des Tiroler Architekten ist zu lesen: “Die Fassaden des Terrassenhotels täuschen kein alpines Bauernhaus vor, sondern verwenden fast collageartig ikonografische Merkmale des neuen Bauens und des traditionellen Bauens.“ Durch die konsequente Formensprache mit starker Betonung der Kurve - und das noch landschaftsangepasst - könnte man fast von einer Wiederholung der hinter dem Gebäude verlaufenden eiszeitlichen Moräne sprechen.
Der Alpenhof in der Zeit im und nach dem zweiten Weltkrieg bis ca. 1990
Auch im zweiten Weltkrieg ist der Alpenhof, wie das Terrassenhotel nun genannt wird, gut belegt und einige alte Bürger*innen des Ortes erinnern sich an den Aufenthalt mancher politischer „Größen“.
Mitte 1943 wird der Alpenhof von Hermann Göring für erholungsbedürftige Offiziere der deutschen Luftwaffe beschlagnahmt. Viele von ihnen bleiben mit ihren Familien bis kurz vor Kriegsende an diesem sicheren Platz, bevor sie sich bei Heranrücken der französischen Truppen nach Tirol absetzen. Marokkaner (damals Teil der französischen Truppen) besetzen ab Mai 1945 das Hotel und verstehen sich mit der einheimischen Bevölkerung anscheinend nicht schlecht. Es werden sogar Feste und Gottesdienste gemeinsam gefeiert. Später wird Hindelang bis 1946 zur amerikanischen Besatzungszone. Danach wird der Alpenhof laut Aufzeichnungen 1957 an die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg verkauft. Bis zum Ende der 1980er Jahre bleibt er Erholungsheim, wird dann unrentabel und die Gemeinde Hindelang macht von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch. Das heißt die Gemeinde kauft den Alpenhof, bevor er er für andere Käufer zur Verfügung stand.
Wie der DAV zum Alpenhof kommt
Bei der Unterbringungsnot der hohen Zahl der Asylsuchenden Anfang der 1990er Jahre gerät auch der leerstehende große Alpenhof zunehmend in den Fokus des Landkreises. Zeitgleich hat der damalige 1. Vorsitzende des DAV, Dr. Fritz März - ein guter Bekannter des damaligen Hindelanger Bürgermeisters Roman Haug - die zündende Idee, die Jugendbildungsstätte dorthin zu legen. Dewald und Mayr besichtigen mit den beiden Herren das Objekt und es entsteht eine Liebe auf den ersten Blick. Ideal, das wird die neue Jubi! Die Gremien des DAV und der Gemeinde einigen sich schnell. Der DAV erwirbt Gebäude und Grund für 1,5 Mio DM – samt Ignaz, dem Hausmeister, der einige Jahre alleine als eine Art Hausherr fungiert hatte.
Die Lage des Alpenhofs ist von besonderer Bedeutung für den DAV – man bleibt in der Region Allgäu, alle Netzwerke und Kontakte können bestehen bleiben und die Mitarbeiter*innen müssen nicht umziehen.
Die Entwicklung des Alpenhofs zur modernen Jugendbildungsstätte
Langsam verschwindet der Begriff „Alpenhof“. Der Name „Jugendbildungsstätte Hindelang“ erscheint in Anbetracht der Geschichte, die das Objekt im Dritten Reich spielte, geeigneter. Obwohl sich Fritz März nur äußerst ungern von den Imitaten der schweren Deckenbalken des großen Speisesaales trennen kann, werden diese auf Meinung der Mehrheit später zugebaut.
1997 wird der Hochseilgarten im Außengelände der Jubi gebaut – einer der ersten in der Region. Zwei Jahre später vernetzt sich die „ZQ “ (erlebnispädagogische Zusatzqualifikation) in den Handlungsbereichen Bergwandern und Klettern der Jubi mit den benachbarten bayerischen Jubis und deren Handlungsbereichen zum heutigen Erfolgsmodell „Erlebnispädagogik“ des Trägerverbundes. Ebenfalls 1999 unterstützt die Jubi in maßgeblicher Form die Umsetzung der limnologischen (Binnengewässer betreffende) Umweltverträglichkeitsstudie zum Canyoning.
Die Jubi wird häufig von Medien aufgrund ihrer Expertise zum Thema angefragt. 2004 startet eine weitere Ausbildungsschiene in internationaler Kooperation mehrerer Träger/ Fachverbände: die Seilgartentrainer-Ausbildung mit den Partnern DAV, ÖAV und den Bergführerverbänden Deutschlands und Österreichs.
Zahlen, Fakten und Marksteine der Sonnenhalde / JAS Burgberg
1977: Ein pädagogischer Leiter und eine Hauwirtschafterin treiben die Jugendausbildungsstätte um.
1978: Erster Zivildienstleistender (anfangs teils auch abfällig als Drückeberger bezeichnet).
1979: Die JDAV zählt ca. 70000 Mitglieder.
1980: Zwei Personen im Leitungsteam, zwei in der Hauswirtschaft.
1983: Das Projekt Hangschutz (später Umweltbaustelle Hangschutz am Grünten) wird kreiert und besteht noch heute.
1985: Inbetriebnahme der Selbstversorgereinheit.
1987: Erste trinationale Skitourenprogramme (D/F/I), gefördert vom DFJW.
1987: Erstes Seminar „Erlebnispädagogik und ökologisches Lernen in den Bergen“.
1990: Umweltbaustelle Wegsanierung wird gestartet. Engagement wird mit dem Umweltpreis der bayerischen Landesstiftung gewürdigt.
1990: DAV erwirbt den Alpenhof in Hindelang für 1,25 Mio Mark als JAS-Folgeobjekt und investiert in zwei Jahren für 4 Mio Mark in den Um- und Anbau.
1991: Erster PC. Die elektrische Schreibmaschine, die beim Unterstreichen einer längeren Textpassage jeweils das Blatt zertrennt, hat ausgedient.
1992: Jubi erhält den Salewa-Umweltpreis.
1994: Anfang Februar: endgültiger Umzug in die neue Jubi nach Hindelang.
Zitate
Anekdoten zur Sonnenhalde
Die Jubi ist immer an allem schuld…
Immer wieder kam es vor, dass im Ort Burgberg – wie aber in jedem anderen Ort eigentlich auch - von irgendjemandem etwas angestellt wurde oder sogar gelegentlich Vandalismus zu beklagen war. Die Umsetzung der Ideen einiger heranwachsender Jubi-Gäste, mit der Taschenlampe ins Schlafzimmer des Nachbarhauses zu leuchten oder Geist im Friedhof zu spielen, sorgte verständlicherweise schon für genug Ärger. Als wieder einmal alkoholisierte Lausbuben ihre Spur durch den Ort gezogen hatten, stand am Montag ein erboster Bürger im Büro und beschwerte sich über den Unfug unserer Gruppen. Der damalige Leiter, Wilfried Dewald, erklärte ihm dann aber, dass die Jubi an besagtem Wochenende gar keine Belegung hatte und sie also diesmal wirklich völlig unschuldig war. Die Antwort des Burgbergers war daraufhin beim Hinausgehen: „Dann wart ihr es trotzdem!“
Gemeinsam auf Abwegen…
Der Slogan der JDAV war lange Jahre „Gemeinsam auf Abwegen“. Als der stellvertretende Leiter Wolfgang Mayr wegen der Baugenehmigung der Selbstversorger-Einheit zu den Nachbarn musste, klagte einer erst einmal sein Leid über die Jugendlichen und Teamer*innen „aus der Stadt“ und wie schlimm die alle seien. Und besonders unser Slogan sei voll daneben. Auf die Frage nach dem Grund kam dann: „Da schau, Gemeinsam auf Abwegen, was da in eurem Prospekt steht - ja was meint ihr denn, warum wir Wege gebaut haben? Ihr sollt nicht gemeinsam neben dem Weg herumlaufen!“ Das kleine Missverständnis konnte aufgeklärt werden, Mayr musste mit ihm ein Bier trinken und bekam die Genehmigung. Erwähnenswert ist, dass dieser Nachbar auch der Betreiber eines kleinen Schleppliftes oberhalb des Hauses war. Tief eingespeichert war bei ihm, dass ihm böse Buben einmal nachts einige Liftbügel an die Masten gebunden hatten und er beim Starten tags darauf den Schaden nicht mehr abwenden konnte. Ob die Jubi schuld war oder nicht, das weiß niemand, aber für ihn war es klar.
Kajak fahren im Schnee…
Es hatte wieder einmal viel geschneit und die Zufahrt zur Sonnenhalde war noch nicht geräumt. Die Jubi war immer die letzte Amtshandlung des Schneepflugfahrers. Kurzerhand zerrten einige Leute die Kajaks aus der Garage und surften den Hang über der Jubi hinunter. Eine richtige Halfpipe war bald entstanden. Als einer von ganz ober startete, wurde er so schnell, dass er nicht vor dem Parkplatz im tiefen Schneehaufen verhungerte, sondern in flottem Tempo ungeplant den Hof überquerte. Weder die Kursleiter hatten das gedacht, noch der Leiter der Jubi, der genau in diesem Moment entsetzt aus dem Fenster schaute. Der Jubi-Kleinbus stand dann nämlich zur falschen Zeit am falschen Platz. Das Kajak sauste in voller Fahrt unter die vordere Stoßstange des grünen Busses. Durch die höher werdende Form des Kajaks verkeilte es sich und bremste. Der Oberkörper des Bobfahrers bog sich sehr weit nach vorne, der Kopf jedoch berührte den Kühlergrill des Busses nicht. Das Spiel wurde dann eingestellt.
Die Seifenkisten - Sprungschanze…
Abenteuerfreizeit – ein äußerst beliebter und immer schon früh ausgebuchter Jugendkurs. Ein Dauerbrenner. 1985 haben die Kinder die glorreiche Idee, mit selbstgebauten Seifenkisten den Hang zum Parkplatz der Jubi hinab zu sausen. Was im Winter mit Kajaks auf Schnee geht, sollte ja im Sommer erst recht kein Problem darstellen. Alles klappt bestens, aber wird auch schnell langweilig. Mit einigen Bierbänken wird eine Schanze gebaut. Als Aufsprung im Kies des Parkplatzes wird der robuste Teppich des Hausgangs kurzerhand zweckentfremdet. Wieder alles gut. Aber mit längerem Anlauf müssten doch weitere Flugphasen erreichbar sein. Klappt soweit auch gut, bis ein Junge weit über den Teppich hinaus schanzt und mit dem Hintern im Splitt bremst. Das weinende und blutende Kind wird ins Büro getragen und von Maria getröstet. Wilfried und Wolfgang funktionieren den Schreibtisch kurzerhand zum OP-Tisch um und entfernen mit Pinzetten Steinchen um Steinchen aus dem Allerwertesten. Etwas Desinfektionsmittel und viele Pflaster drauf … Eingriff geglückt … Patient hat’s überlebt und noch an vielen Kursen teilgenommen.
Die Grünen und die Schwarzen…
Die Jubi veranstaltete bereits in Burgberg offene Wochenend-Seminare zu aktuellen Themen. Diese waren z.B. Themen wie Wasser, AIDS, Waldsterben, … gewidmet und auch nötig, um den Förderrichtlinien zu entsprechen. Da Waldsterben damals überall erste Priorität hatte, wurde Wilfried Dewald nach so einem Wochenende von der Fraktion der Grünen für eine Exkursion zum Thema am Grünten angefragt. Er freute sich über die regionale Wirkung der Seminare über die Jubi hinaus und sagte zu. Ein voller Erfolg mit toller medialer Auswirkung. Aber er hatte sich zu früh gefreut. Dr. Fritz März, damaliger 1. Vorsitzender des DAV, bestellte Dewald schon wenige Tage später nach München ein und machte ihn richtig rund. Er war außer sich vor Wut was der Leiter der Jubi da unerlaubt verbrochen hatte. Zum Ende der Auseinandersetzung fragte ihn dann Dr. März, ob er so eine Führung eigentlich auch für die CSU (der er angehörte) machen würde. Dewald’s Antwort „Ja klar, gerne!“. März‘ Antwort „Ja dann ist es ja gut“. Von diesem Zeitpunkt an verstanden sich die beiden bestens und man duzte sich von da an.
s’Klodecklhüs...
Auch unterhalb de.r Jubi ist übrigens ein weiteres Welzenbacher-Objekt zu sehen, im Volksmund „s’Klodecklhüs“ genannt. Schaut man vom Balkon der heutigen Jubi hinunter und sucht nach so einer Form, entdeckt man es dann sofort - und warum es von den Alten im Ort so genannt wird. Hier lebte Willi Wechs, der legendäre Bergführer und langjährige Wirt des Prinz-Luitpold-Hauses am Hochvogel. Welzenbacher baut viele Objekte nach damaligen Gesichtspunkten sehr progressiv und gilt heute als einer der bedeutendsten Architekten der Moderne. Er hat sich zum Ziel gesetzt, das Lebensgefühl der Menschen durch Bauten zu verwandeln. Der jetzige Gebäudekomplex inklusive seiner Anbauten von 1963 und 1992 steht deshalb als gesamtes Ensemble unter Denkmalschutz.
Die Jubi und das digitale Zeitalter...
Eine bisher unbekannte Geschichte am Rande: Konrad Zuse, der Erfinder des Computers, versteckte seinen “Z4“ während des Krieges in einem alten Bauerhaus in Hinterstein – nur wenige Kilometer vom Alpenhof entfernt – und reaktivierte das verstaubte Gerät Ende 1945 in Hopferau im Allgäu zum Leben. Die Folgen der Geschichte dürfte allen bekannt sein, das heutige digitale Zeitalter. Und was hat nun Zuse mit dem Alpenhof zu tun? Zufällig erwarb die Leiterin der Jubi vor einigen Jahren genau dieses alte Haus.